Taube Finger? Spätestens wenn Sie googlen, werden Sie früher oder später auf das Karpaltunnelsyndrom treffen. Aber was genau ist eigentlich dieser Karpaltunnel und können die Beschwerden vielleicht sogar woanders herkommen? Wie immer schauen wir uns das Ganze Schritt für Schritt an.
Anatomie
Der Karpaltunnel wird von den Handwurzelknochen im Bereich des Handgelenks gebildet und von einem dicken Band (Retinaculum flexorum) nach oben hin abgeschlossen. In diesem verlaufen zum einen fast alle Sehnen der finger- und handgelenksbeugenden Muskulatur (bis auf die des M. flexor carpi ulnaris und den M. palmaris longus). Zum anderen verläuft in diesem auch der Nervus Medianus (der beim Karpaltunnelsyndrom Beschwerden macht).
Nervus medianus
Der Nervus medianus entspringt aus dem Bereich der unteren Halswirbelsäule (Segmente C6-Th1). Um präzise zu bleiben, entspringt er aus dem Plexus (Nervengeflecht) brachialis. Er hat sowohl sensible als auch motorische Fasern.
Wird er in seinem Verlauf zu stark komprimiert, kann es also sowohl zu Missempfindungen (Parästhesien) als auch Nachlassen oder Ausfällen der Kraft kommen. Das typische Bild, was sich aufgrund der mangelnden Kraft der Muskulatur zeigt, ist die sogenannte „Schwurhand“. Beim Versuch, die Finger zur Faust zu ballen, gelingt dies nur beim kleinen Finger und dem Ringfinger. Ein weiteres Zeichen ist das sogenannte „Flaschenzeichen“. Hierbei gelingt es nicht mehr, eine Flasche vollständig zu umschließen, da der Daumen nicht mehr abgespreizt (abduziert) werden kann.
Es kann zudem zu einem Sensibilitätsverlust oder Parästhesien auf der Seite der Handfläche, im Bereich der Innenseite des Daumens bis zur daumenseitigen Hälfte des Ringfingers kommen. Diese können sich in Verlängerung bis ca. zum Handgelenk bemerkbar machen. Auf der Handrückseite können die Endglieder des Zeige-, Mittel- und daumenseitigen Ringfingers betroffen sein.
Es gibt vielfältige Ursachen, warum dieser Nerv Probleme machen kann. Oftmals sind es auch mehrere Stellen, an denen der Nerv entweder mechanischen Druck abbekommt oder es kann auch zu einer allgemeinen Übersensibilität des Nerves kommen, sowie einer verminderten Gleitfähigkeit.
Ein typisches Beschwerdebild, durch das es zu einer Problematik unter anderem im Bereich des N. medianus kommen kann, ist das sogenannte Thoracic-Outlet-Syndrom, was unter anderem Kompressionssyndrome des Plexus brachialis zusammenfasst. Typische Syndrome, die dazu führen können, sind:
• Skalenussyndrom (Kompression im Bereich der Skalenuslücke. Hierunter versteht man die Lücke zwischen dem vorderen und mittleren Anteil der Mm. scalenii), kann mit dem Kostoklavikularsyndrom einhergehen
• Kostoklavikularsyndrom (Engstelle zwischen den oberen beiden Rippen (costae) und dem Schlüsselbein (clavicula)), kann mit dem Skalenussyndrom einhergehen
• Pectoralis-Minor-Syndrom (Engstelle des Plexus brachialis im Bereich des kleinen Brustmuskels (M. pectoralis minor))
Es kann auch durch Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule oder Bandscheibenvorfälle zu einer Kompression der Nerven kommen. Hierbei zeigen sich allerdings oft etwas andere Parästhesien oder Kraftverluste.
Speziell der N. medianus kann auch durch folgende Problematiken im Speziellen beeinflusst werden:
• Frakturen (Brüche) oder auch Luxationen („Auskugeln“) im Bereich des Ellbogens
• Pronator-teres-Syndrom (Enge im Bereich des M. pronator teres, ein Muskel, der für die Einwärtsdrehung (Pronation) des Unterarms zuständig ist)
• Karpaltunnelsyndrom (das schauen wir uns weiter unten genauer an)
Exkurs Gleitfähigkeit Nerven
Nerven sind weniger dehnbar, als Muskeln. Wichtig ist für eine störungsfreie Funktion, dass sie gleitfähig sind. Stellen Sie sich das am besten so ähnlich vor, wie das Bremsseil am Fahrrad, was ja auch durch eine Hülle durchgezogen wird und bei Betätigung der Bremse innerhalb dieser Hülle vor- und zurückgleitet.
Karpaltunnelsyndrom – Ursachen
Beim Karpaltunnelsyndrom kann es durch verschiedene Gründe zu einer Enge im Bereich des Karpaltunnels kommen. Ein hohes Risiko haben beispielsweise Diabetiker (84 %). Beim Rest der Bevölkerung ist das Risiko überschaubarer (10 %) im Verlaufe des Lebens an diesem Beschwerdebild zu leiden. Weitere allgemeine Risikofaktoren sind ein erhöhter BMI, berufliche Faktoren und die Genetik.
Es gibt aber auch weitere Gründe, durch die es zu einem Karpaltunnelsyndrom kommen kann. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass die Gleitfähigkeit des N. medianus im Bereich des Karpaltunnels eingeschränkt ist. Zudem kann es durch die Sehnen im Karpaltunnel auch zu einer Kompression des Nerves kommen, ebenso wie durch Veränderungen des Retinaculum Flexorum. Blockaden im Bereich der Handwurzelknochen oder auch Stürze auf die Hand könnten ebenso zu einer Enge im Bereich des Karpaltunnels führen.
Durch das Karpaltunnelsyndrom kann es übrigens nicht zum Phänomen der „Schwurhand“ kommen. Die oben beschrieben Parästhesien im Bereich der Hand können aber, ebenso wie das „Flaschenzeichen“ auftreten.
Behandlung
Für die Behandlung des Karpaltunnelsyndroms gibt es mehrere Optionen. Eine Option stellt die Osteopathie dar. In einer spanischen Studie konnte gezeigt werden, dass die Osteopathie einer OP vom Ergebnis nicht nachsteht, allerdings deutlich kostengünstiger ist.
Was ich persönlich gerne Patienten mit Karpaltunnelsyndrom als „Hausaufgabe“ mitgebe, sind Übungen zur Verbesserung der Nervenmobilisation, sogenannte Slider. Diese würde übrigens auch in der obigen Studie Patienten als Aufgabe mitgegeben.
Das Ziel dieser Übung ist vor allem am Anfang, den irritierten Nerv zu beruhigen. Das heißt, es macht Sinn, dass wenn Sie mit dieser Übung starten, Sie währenddessen erstmal nichts spüren: Keine Dehnung, kein Kribbeln … Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Baby sanft in den Schlaf wiegen.
Schienen für den Schlaf, die das Handgelenk gerade halten, können eine ergänzende Option sein, wenn die Beschwerden auch den Schlaf beeinträchtigen. Da in der neutralen Stellung des Handgelenks der Druck auf den N. medianus im Karpaltunnel am geringsten ist, können sie sich zur nächtlichen Entlastung eignen.
Wie immer gilt, versuchen Sie die Aktivitäten, die Ihre Beschwerden verstärken, zu vermeiden, das gilt bei Nervenbeschwerden nochmal mehr als bei muskulären Beschwerden.
Kortisoninjektionen können, wenn die vorherigen Maßnahmen nicht greifen, eine weitere Möglichkeit darstellen, um den Nerv zu entlasten. Die Ultima Ratio wäre dann eine OP, bei der das Retinaculum Flexorum durchtrennt wird.
Wichtig zu wissen ist, dass die konservativen Behandlungsansätze, auch abhängig von der bisherigen Beschwerdedauer, durchaus eine gewisse Zeit brauchen, bis sie richtig greifen.
Herzliche Grüße
Katrin Arnold-Nagler
Osteopathin D.O. VFO
Quelle: www.osteo-ries.de